Librandi - Kalabriens Weinbau-Pionier im Herzen des Cirò
Wo salzige Winde der ionischen Küste durch die Reben von Cirò Marina streichen und das süditalienische Licht jeden Hang wie unter einer Lupe erscheinen lässt, entstand 1955 eine Weinbau-Vision, die weit über Kalabrien hinauswirkt. Die Brüder Antonio und Nicodemo Librandi gründeten ihr Weingut mit einem Anspruch, der heute als wegweisend für den gesamten Mezzogiorno gilt. Vier Generationen später zeigt sich: Hier wurde früh verstanden, was eine Region ausmacht.
Was als klassischer italienischer Weinproduzent in der DOC Cirò (Denominazione di Origine Controllata, das italienische Herkunftssystem) begann, entwickelte sich zu einem der einflussreichsten Häuser Süditaliens. Auf 232 Hektar, verteilt über verschiedene Lagen und Mikroklima-Zonen (kleinräumige klimatische Unterschiede innerhalb eines Gebiets), verbindet Librandi innovative Kellertechnik mit der systematischen Wiederbelebung autochthoner Rebsorten (einheimische, regional gewachsene Traubensorten). Gaglioppo, Greco Bianco, Mantonico. Diese historischen Schätze Kalabriens erfahren hier eine Renaissance, die internationale Beachtung gefunden hat.
Mir persönlich imponiert, wie konsequent das Weingut Kalabrien als authentische Weinregion positioniert hat, ohne dabei in provinzielle Selbstbeschränkung zu verfallen. Die systematische Arbeit mit den autochthonen Rebsorten zeigt: Hier geht es nicht um nostalgische Verklärung, sondern um die Zukunftsfähigkeit einer ganzen Region.
Geschichte und Entwicklung des Weinguts Librandi
1955 entschieden sich die Brüder Antonio und Nicodemo Librandi für einen mutigen Schritt: eigene Weine unter dem Familiennamen zu keltern. Was in Cirò Marina als lokales Projekt begann, sollte sich über die Jahrzehnte zur prägenden Kraft der kalabrischen Weintradition entwickeln. Hier, wo das ionische Meer die Reben kühlt und die Sonne Kalabrien formt, legten sie das Fundament für eine Weinbaufamilie, die Süditalien neu definieren würde.
Der entscheidende Wandel kam in den 1980er Jahren. Nicodemo Librandi holte Donato Lanati ins Haus, einen Önologen mit internationalem Blick und präzisem Handwerk. Diese Allianz markierte den Übergang von Quantität zu kompromissloser Qualität, ohne die autochthonen Rebsorten (einheimische Traubensorten der Region) zu vergessen. International denken, lokal wurzeln: So ließe sich die neue Philosophie zusammenfassen.
Heute führen Paolo, Raffaele und Francesco Librandi als dritte und vierte Generation diesen Generationsbetrieb mit klarer Vision weiter. Nachhaltigkeit prägt die Arbeit im Weinberg, önologische Forschung das Denken im Keller. 1997 entstand mit der Tenuta Rosaneti das ehrgeizigste Projekt der Familie: 150 Hektar Versuchsgelände, auf dem systematisch kalabrische Rebsorten und Klone erforscht, selektiert und für kommende Generationen bewahrt werden. Tradition als Labor der Zukunft.
Die Region Kalabrien und ihre Bedeutung für Librandi
Zweieinhalb Jahrtausende Weinbaugeschichte sind kein Zufall. Als griechische Kolonisten im achten Jahrhundert vor Christus die kalabrische Küste erreichten und das Land „Oenotria" tauften (Land des Weins), legten sie das Fundament für eine der ältesten Weinbautraditionen der Welt. Kalabrien trägt dieses Erbe bis heute, und Librandi begegnet dieser Verantwortung mit einer Mischung aus Respekt und kalkulierter Innovation. Die Weinlinie „Val di Neto", benannt nach dem antiken Fluss Neto, verkörpert genau diese Verbindung zwischen historischer Tiefe und zeitgemäßer Präzision.
Das Herz von Librandi schlägt in Cirò Marina, dem unbestrittenen Zentrum der DOC Cirò, die für etwa neunzig Prozent der gesamten kontrollierten Weinproduktion der Region verantwortlich zeichnet. Es gibt den Mythos, Kalabrien bringe nur rustikale, schwere Rotweine hervor. Heute weiß man dank archäologischer Funde und historischer Quellen: Die Region war einst für ihre eleganten Weißweine berühmt. Diese griechische Weinbautradition hat Librandi erfolgreich wiederbelebt, wie Weine wie der Cirò Bianco und der Critone Bianco eindrucksvoll beweisen. Die strategische Lage zwischen Ionischem Meer im Osten und Tyrrhenischem Meer im Westen, geschützt durch das Sila-Gebirge, beschert ein einzigartiges mediterranes Klima mit kühlenden Meeresbrisen und ausgeprägten Tag-Nacht-Temperaturschwankungen, das Librandi geschickt für Frische und Aromenkomplexität zu nutzen versteht.
Terroir und Klima: Der Boden, der Librandis Weine prägt
Kalabrien spielt mit Kontrasten, und nirgends wird das deutlicher als in den Weinbergen von Librandi. In Küstennähe, wo sich die roten Böden von Cirò Marina ausbreiten, dominieren tonige, eisenreiche Schichten, die tagsüber Wärme speichern und nachts wieder abgeben - ein natürlicher Temperaturpuffer für die Gaglioppo-Reben, der deren späte Reife begünstigt. Ganz anders die höher gelegenen Parzellen bei Melissa: Hier sorgen kalkhaltige Böden mit besserer Drainage für frischere Bedingungen, unter denen aromatische Weißweinsorten wie Greco Bianco ihre Finesse entwickeln können.
Das Mediterranean terroir zeigt sich klassisch mediterran, mit einer Besonderheit. Heiße Sommermonate erreichen 35°C, milde Winter pendeln um 10°C, während 500 bis 800 Millimeter Niederschlag hauptsächlich im Herbst fallen. Entscheidend aber ist die außergewöhnlich lange Vegetationsperiode von 300 Tagen - jene Phase zwischen Austrieb und Ernte, in der die Reben wachsen und reifen. Diese Zeitspanne ermöglicht eine langsame physiologische Reifung (die biochemischen Prozesse in der Traube, die Zucker, Säure und Aromastoffe in Balance bringen) der spätreifenden autochthonen Sorten.
Das Mikroklima der Cirò DOC profitiert von den kühlenden Brisen des Ionischen Meeres, die tagsüber die Reben temperieren und nachts für Abkühlung sorgen. Diese maritime Prägung (der direkte Einfluss der Meeresnähe auf Temperatur und Luftfeuchtigkeit) spiegelt sich unmittelbar in den Weinen wider. Die ausgeprägte Salzigkeit und mineralischen Noten im Critone Bianco sind authentischer Ausdruck der kalkhaltigen Böden und der stetigen Meeresbrise, die hier schreibt, was später im Glas zu schmecken ist.
Mikroklima und Bodenbeschaffenheit in Cirò
Naturkräfte im Dialog formen hier das Terroir: Das Ionische Meer schickt tagsüber kühlende Brisen zu den Librandi-Weinbergen, während nachts warme Luftmassen aus dem Landesinneren die kalte Bergluft des Sila-Gebirges ausgleichen. Diese mikroklimatische Choreografie schafft ideale Bedingungen für differenzierte Weinprofile. Die Böden wechseln auf engstem Raum, lehmdominierte Flächen speichern Feuchtigkeit effizient und begünstigen die kraftvolle Gaglioppo-Traube, steinige Hanglagen mit optimaler Drainage hingegen lassen aromatische Greco Bianco-Weine entstehen.
Im Weinberg passt sich das Handwerk den lokalen Gegebenheiten an: Das traditionelle Alberello-System (Buscherziehung ohne Drahtrahmen) schützt die Trauben vor übermäßiger Hitze, moderne Spaliersysteme kommen in kühleren Lagen zum Einsatz. Die diurnalen Temperaturschwankungen (Tag-Nacht-Differenzen von oft über 15°C) fördern komplexe Aromabildung und bewahren trotz mediterraner Wärme eine lebendige Säurestruktur. Diese natürliche Klimaregulation verleiht den Weinen jene beeindruckende Frische, die Librandi-Weine auch in warmen Jahrgängen auszeichnet.
Philosophie und Handwerk: Innovation mit kalabrischer Tradition
Es ist ein Drahtseilakt zwischen Respekt und Erneuerung, den Librandi seit Generationen meistert. Die Familie hütet die autochthonen Rebsorten Kalabriens wie einen Familienschatz, während sie gleichzeitig auf modernste önologische Erkenntnisse setzt. Diese Philosophie wurzelt in der Überzeugung, dass echter Fortschritt nur durch die Verbindung von Überlieferung und wissenschaftlicher Präzision entstehen kann.
In den Weinbergen praktiziert das Gut zunehmend nachhaltigen Weinbau mit biologischen Methoden, um die Bodenvitalität zu fördern und das mediterrane Ökosystem zu schützen. Die Handlese erfolgt in kleinen Kisten während der kühleren Morgenstunden, wenn die Trauben ihre optimale physiologische Reife erreicht haben. Bei der intensiven kalabrischen Sonne ist dieses Detail von entscheidender Bedeutung für die Qualität.
Im Keller verbindet Librandi traditionelle Methoden mit präziser Temperaturkontrolle. Die malolaktische Gärung (biologischer Säureabbau) wird je nach Rebsorte und Jahrgang gezielt gesteuert, während die Bâtonnage (Aufwirbeln der Hefe) bei den Weißweinen für mehr Textur und Komplexität sorgt. Moderne Kellertechnik wie drucklose pneumatische Pressen und Edelstahltanks mit computergesteuerter Thermoregulation ermöglichen es, das Potenzial jeder Parzelle optimal herauszuarbeiten.
Auf der 150 Hektar großen Tenuta Rosaneti betreibt das Weingut intensive Weinforschung. Hier werden in Zusammenarbeit mit der Universität Reggio Calabria historische Klone der Gaglioppo-Rebe charakterisiert und neu bewertet. Diese Pionierarbeit in der Önologie prägt nicht nur Librandis eigene Weine, sondern beeinflusst die gesamte Entwicklung des kalabrischen Weinbaus.