Casanova di Neri - Ein Juwel unter den toskanischen Weingütern
Östlich von Montalcino, wo die Morgensonne die Rebzeilen wie ein natürliches Vergrößerungsglas erhellt, entstand 1971 ein Familienweingut, das heute zur Spitze der italienischen Weinkultur zählt. Giovanni Neri erwarb damals ein bescheidenes Anwesen im Herzen der Sangiovese-Region. Was sein Sohn Giacomo daraus entwickelte, ist bemerkenswert: ein Betrieb, der Respekt vor der Tradition mit modernem Handwerk verbindet, ohne dabei dogmatisch zu werden.
Heute erstrecken sich 63 Hektar Rebfläche über verschiedene Parzellen, wobei die legendären Einzellagen Cerretalto und Tenuta Nuova besondere Aufmerksamkeit verdienen. Diese toskanischen Böden bringen Weine hervor, die eisenhaltige Mineralität (durch eisenoxidreiche Böden) mit seidiger Eleganz verbinden. Giacomo Neri praktiziert dabei einen ausgewogenen biologischen Ausbau (natürlicher Säureabbau ohne künstliche Zusätze), der Frucht und Terroir gleichermaßen respektiert. Es gibt einen Mythos, dass solche Produzenten zu viel Holz einsetzen. Heute weiß man: Casanova di Neri praktiziert tatsächlich sehr zurückhaltenden Barrique-Einsatz. Wer diese präzisen Toskana Weine offen probiert, entdeckt hier mehr Spannung als Gewissheit.
Geschichte und Entwicklung eines Familienprojekts
Giovanni Neri war ein Mann mit Weitblick, als er 1971 ein kleines Anwesen östlich von Montalcino erwarb und damit den Grundstein für eine Weingeschichte legte, die heute drei Generationen umspannt. Der entscheidende Wendepunkt kam in den 1990er Jahren mit Sohn Giacomo, der die Einzellage Tenuta Nuova (abgegrenzte Weinbergsparzelle mit eigenständigem Charakter) schuf und 2001 mit seinem Brunello die höchste Ehre erhielt: Wine Spectator kürte ihn zum Wein des Jahres. Heute führt bereits die dritte Generation den Familienbetrieb weiter, wobei Giovanni junior und Schwester Gianlorenzo die Traditionspflege mit einem verstärkten Fokus auf nachhaltige Bewirtschaftung der Weinberge verbinden.
Terroir und Lage - Die geologischen Besonderheiten von Montalcino
Das Hügelland südlich von Siena prägt Casanova di Neris Montalcino Terroir entscheidend. Die Weinberge erstrecken sich über Höhenlagen zwischen 250 und 450 Metern, eine Spannweite, die ein faszinierendes Mosaik aus Mikroklimata entstehen lässt. Diese Höhenunterschiede sind das Fundament für die komplexen Stilprofile der späteren Weine.
Drei Bodentypen dominieren die verschiedenen Lagen. Kalkreiche Galestro-Böden (ein schieferartiger Tonmergel, typisch für die Toskana) prägen die östlichen Parzellen, während die legendäre Tenuta Nuova auf toskanischem Lehm mit eingestreuten Kieselsteinen gedeiht. Das Mikroklima zeigt kontinentale Züge mit mediterranen Einflüssen. Warme, trockene Sommer treffen auf milde Winter. Die ausgeprägten Tag-Nacht-Temperaturschwankungen in den höheren Lagen fördern die langsame, optimale Reifung beim Sangiovese Anbau. Galestro erweist sich dabei als idealer Partner: Er speichert Feuchtigkeit in Trockenperioden und gewährleistet gleichzeitig optimale Drainage. Ein natürliches System, das Präzision und Eleganz möglich macht.
Mikroklima und Höhenlagen der Weinberge
Vier Areale prägen die Weinbergstopografie von Casanova di Neri: Fiesole, Podernuovo, Cerretalto und Pietradonice bilden ein Mosaik unterschiedlicher Mikroklimata (lokale Klimaverhältnisse), wobei jede Lage ihre eigene klimatische Signatur entwickelt hat. Der Monte Amiata fungiert dabei als natürlicher Klimaregulator, dessen kühlende Luftströme besonders den östlich ausgerichteten Rebflächen zugutekommen und während der intensiven Sommerhitze für konstante Belüftung sorgen.
In den höchsten Parzellen bei 450 Metern entstehen bemerkenswerte Temperaturamplituden (Tag-Nacht-Schwankungen) von bis zu 20°C, ein klimatisches Phänomen, das zwei entscheidende Effekte bewirkt: intensive Aromabildung während der warmen Tagesstunden und gleichzeitige Bewahrung der lebendigen Säurestruktur durch nächtliche Abkühlung. Diese natürlichen Höhenunterschiede schaffen ein ausgeklügeltes Kühlsystem, das selbst in heißen Jahrgängen für ausgewogene Sangiovese-Charakteristika sorgt.
Die variierende Weinberg-Exposition der vier Lagen eröffnet Giacomo Neri strategische Möglichkeiten für die Traubenselektion: Während südexponierte Hänge kraftvolle, konzentrierte Beeren mit intensiver Fruchtausprägung liefern, bringen die nordöstlich ausgerichteten Rebflächen finessereiche Trauben mit ausgeprägter Mineralität hervor. Diese Vielfalt an Reifephasen und Fruchtcharakteren bildet das Fundament für die komplexe Assemblage des klassischen Brunello di Montalcino.
Philosophie und Handwerkskunst von Casanova di Neri
Giacomo Neri formuliert es knapp: „Der Wein wird im Weinberg gemacht." Hinter diesem Credo steht ein System aus Respekt und Präzision, das die Sangiovese-Traube ins Zentrum rückt und über neunzig Prozent der Anbaufläche bestimmt. Im Weinberg praktiziert Casanova di Neri eine integrative Form des biologischen Weinbaus ohne offizielle Zertifizierung, aber mit jenem Respekt vor ökologischen Prinzipien, der sich in akribischer Handarbeit im Weinberg und strenger Ertragsbegrenzung zeigt.
Das Laubwand-Management wird präzise an die jeweiligen Mikroklimata der verschiedenen Parzellen angepasst, wobei spezielle Sangiovese-Klone zum Einsatz kommen, die optimal an die lokalen Gegebenheiten adaptiert sind. Eine zentrale Rolle spielt das Diradamento (grüne Lese), bei dem unreife Trauben kurz vor der Véraison (dem Zeitpunkt des Farbumschlags) entfernt werden. Diese Technik fördert die Konzentration der verbleibenden Trauben und stellt Qualität über Quantität, ein Prinzip, das bei Casanova di Neri als unverzichtbar gilt.
Es gibt einen Mythos um die Ausbaumethoden des Guts. Heute weiß man: Casanova di Neri setzt nicht hauptsächlich auf Barriques, sondern nutzt je nach Wein verschiedene Ausbautechniken. Klassische große Botti (25 bis 30 Hektoliter) kommen für den traditionellen Brunello zum Einsatz, während französische Eichenfässer unterschiedlicher Größe für die Crus reserviert sind. Holz wird hier als Werkzeug verstanden, nicht als Aromageber.
Traditionelle Methoden trifft moderne Weinbereitung
Zweimal wird hier selektiert, und das hat seinen Grund. Bereits im Weinberg erfolgt die erste Auslese durch selektive Handlese, gefolgt von einer zweiten Sichtung auf Sortiertischen im Keller. Diese doppelte Kontrolle mag aufwändig erscheinen, doch sie bildet das Fundament für jene Klarheit, die Casanova di Neri auszeichnet. Nur perfekte Trauben gelangen in die Tanks.
Die Malo (malolaktische Gärung, bei der scharfe Äpfel- in mildere Milchsäure umgewandelt wird) überwacht Giacomo Neri persönlich. Dieser biologische Prozess formt Textur und Balance der Rotweine entscheidend mit. Hier zeigt sich die Handschrift des Hauses.
Bei der Vinifikation setzt das Weingut bewusst auf temperaturkontrollierte Gärung in Edelstahltanks, während die Maischestandzeit je nach Jahrgang und Weinlinie zwischen 18 und 30 Tagen variiert. Regelmäßiges Délestage (kontrolliertes Ab- und Umpumpen des Mostes) sorgt für optimale Extraktion ohne Härte. Die Reifung findet in einem unterirdischen, natürlich klimatisierten Gewölbe statt, wo konstante Bedingungen herrschen und die komplexen Brunello ihre bis zu 42-monatige Holzfassreifung durchlaufen können.
Die Weinkunst von Casanova di Neri: Ein Überblick über die Ikonen
Sechs Weine bilden das Herzstück des Weinportfolios von Casanova di Neri, jeder eine andere Interpretation des Sangiovese auf den Böden von Montalcino. Den Grundton gibt der Brunello di Montalcino DOCG "White Label" vor, ein durchdachtes Assemblage (Verschnitt verschiedener Parzellen), das klassische toskanische Eleganz mit kontrolliertem, modernem Ausbau verbindet. Hier zeigt sich das handwerkliche Können des Hauses in seiner reinsten Form.
Die beiden Einzellagenweine verkörpern die Bandbreite des Terroirs: Tenuta Nuova aus den südlichen Hängen besticht durch Konzentration und internationale Ausstrahlung, während Cerretalto von den eisenhaltigen Nordost-Lagen nur in außergewöhnlichen Jahrgängen vinifiziert wird. Diese Brunello Crus (Einzellagen-Spitzenweine) demonstrieren, wie unterschiedlich Sangiovese auf verschiedenen Mikrolagen reagiert und dabei völlig eigenständige Charaktere entwickelt.
Das Spektrum wird durch den zugänglicheren Rosso di Montalcino DOC ergänzt, der frühe Trinkreife mit der charakteristischen Finesse des Hauses verbindet, sowie durch Irrosso als fruchtbetonten IGT-Einstieg. Der reinsortige Cabernet Sauvignon Pietradonice schließlich beweist die Vielseitigkeit des Weinguts jenseits der Sangiovese-Tradition und rundet das Weinsortiment überzeugend ab.