Weingut Tommasi: Traditionsweingut mit vinophiler Seele im Herzen des Veneto
Fünfzehn Kilometer nordwestlich von Verona, in den Hügeln von Pedemonte di Valpolicella, führt die Familie Tommasi seit 1902 ihr Familienweingut mit der Präzision von vier Generationen. Was mit einem kleinen Weinbaubetrieb begann, entwickelte sich auf 195 Hektar erstklassiger Lagen zu einer der respektiertesten Adressen im Veneto. Die Valpolicella Classica bildet das Herzstück des Betriebs, doch Tommasi versteht es, weit über die traditionellen Grenzen des Amarone hinauszublicken und das facettenreiche Terroir der Region in seiner ganzen Bandbreite zu interpretieren.
Diese über 120-jährige Weinbautradition manifestiert sich heute in einem Portfolio, das überrascht. Während das italienische Weingut primär für seine kraftvollen Rotweine berühmt wurde, beweist der Lugana, ein Italienischer Weißwein von mineralischer Präzision, eindrucksvoll die Vielseitigkeit der Handwerkskunst. Hier zeigt sich, dass Tommasi nicht nur Amarone della Valpolicella von Weltklasse-Status produziert, sondern das komplexe Terroir des Veneto in all seinen Nuancen zu lesen und zu übersetzen weiß.
Die Geschichte des Weinguts Tommasi – Von bescheidenen Anfängen zur Weinikone
Manchmal beginnen große Geschichten ganz unspektakulär. Als Giacomo Tommasi 1902 jenes kleine Grundstück in der Valpolicella erwarb, dachte er wohl kaum daran, dass er damit den Grundstein für eine der bedeutendsten Weinbaudynastien Italiens legte. Die Familie verstand es über vier Generationen hinweg, aus dieser bescheidenen Parzelle ein Imperium zu formen, das heute weit über die Grenzen des Veneto hinausreicht.
Der entscheidende Wendepunkt kam nach dem Zweiten Weltkrieg, als Sergio Tommasi das väterliche Erbe antrat und dessen internationale Dimension erkannte. Er war es, der den Amarone della Valpolicella systematisch über die Grenzen exportierte und damit in den 1950er und 1960er Jahren den Namen Tommasi in die Weinwelt trug. Was als regionale Spezialität galt, wurde unter seiner Führung zur globalen Visitenkarte einer ganzen Region. Die dritte Generation wagte dann den großen Sprung: In den 1990er Jahren entstanden Weingüter in der Toskana, Apulien, der Lombardei und auf Sizilien. Prestigeträchtige Appellationen wie Montalcino und die Maremma erweiterten das Portfolio um jene Terroirs, die heute das ganze Spektrum italienischer Weinkultur abbilden. Heute führen neun Familienmitglieder der vierten Generation das Unternehmen und verbinden dabei die Vision ihrer Vorfahren mit moderner Kellertechnologie und nachhaltigen Anbaumethoden. Mir persönlich imponiert, wie diese Familie über mehr als ein Jahrhundert hinweg Tradition und Innovation in Einklang gebracht hat.
Terroir und Klima – Die natürlichen Grundlagen für Tommasis Weinqualität
Kalk formt hier die Basis. In der Valpolicella Classica, wo sich die Rebhänge zwischen 150 und 450 Metern über dem Meeresspiegel ausbreiten, ruhen die Tommasi-Reben auf kalkhaltigen Böden mit vulkanischen Einschlüssen. Diese geologische Kombination prägt jeden Wein mit jener charakteristischen Mineralität, die das gesamte Portfolio durchzieht. Der nahe Gardasee wirkt als thermischer Puffer und mildert extreme Temperaturschwankungen. Das Ergebnis sind ausgewogene Vegetationsperioden, die komplexe Aromastrukturen erst möglich machen.
Die traditionelle Pergola Veronese (ein Erziehungssystem, das Schatten spendet und gleichmäßige Reifung fördert) verstärkt diesen Terroir-Einfluss zusätzlich. Was auf den ersten Blick einfach erscheint, erweist sich als raffiniertes Zusammenspiel. Kalk, Klima und jahrhundertealte Tradition erzeugen Weine von außergewöhnlicher Vielschichtigkeit. Ein faszinierendes Paradox der Natur.
Es gibt einen Mythos, Amarone-Weine seien grundsätzlich süß. Heute weiß man dank moderner Kellerführung: Die meisten Amarones werden vollständig durchgegoren und sind trocken. Die wahrgenommene Süße entsteht durch Traubenkonzentration, nicht durch Restzucker.
Die besonderen Lagen der Tommasi-Weinberge
Präzision beginnt im Detail, und bei Tommasi sind es die Einzellagen, die den Unterschied machen. Der "Ca' Florian"-Weinberg in San Pietro in Cariano verkörpert diese Philosophie exemplarisch auf sechs Hektar in 250 Metern Höhe, wo die südöstliche Ausrichtung und ein einzigartiges Mikroklima jenen Amarone Riserva entstehen lassen, der nur in außergewöhnlichen Jahrgängen das Licht der Welt erblickt. Nicht weniger bedeutsam zeigt sich "La Groletta" in Sant'Ambrogio di Valpolicella, ein wahres Juwel auf einem Hügel mit Panoramablick zum Gardasee, dessen kalkhaltiger Boden den Weinen jene markante Mineralität und kristalline Eleganz verleiht, die Tommasi-Weine so unverwechselbar macht.
Als Antwort auf den Klimawandel investiert das Weingut strategisch in höhere Lagen bis zu 500 Meter über dem Meeresspiegel, wo kühlere Nächte und längere Reifezeiten auch in wärmeren Jahren die charakteristische Frische und Balance bewahren. Die Rebflächen tragen hauptsächlich Corvina (mit ihrem hohen Tannin- und Säuregehalt die wertvollste Komponente, die in Spitzenweinen bis zu 50 Prozent ausmacht), Corvinone, Rondinella und die traditionelle Molinara, jede Sorte ein Mosaikstein im komplexen Gefüge der Valpolicella-Stilistik.
Philosophie und Handwerk – Das Streben nach Perfektion bei Tommasi
In den Kellern von Tommasi herrscht eine eigene Zeitrechnung. Hier zählen nicht Wochen, sondern Monate und Jahre. Die Philosophie des Hauses verbindet Respekt vor alten Traditionen mit präziser moderner Kellertechnik, wobei jeder Schritt auf einem Fundament ruht: der selektiven Handlese der besten Trauben.
Für die legendären Amarone-Weine beginnt die eigentliche Arbeit erst nach der Ernte. Die ausgewählten Trauben wandern auf traditionelle Holzgestelle, die Graticci (luftige Trockengestelle aus Bambus), wo sie drei bis vier Monate kontrolliert trocknen. Dieses Appassimento (Trocknungsverfahren) lässt die Beeren bis zu 30 Prozent ihres Gewichts verlieren. Was dramatisch klingt, ist pure Konzentration: Aromen verdichten sich, Zucker steigt, Komplexität entsteht.
Nach der schonenden Pressung folgt eine gemächliche Gärung von bis zu 30 Tagen. Der anschließende Ausbau erfolgt in großen slowenischen Botti und kleineren französischen Barriques. Tommasi setzt dabei auf Balance statt Dominanz der Holznoten. Die Malo (malolaktische Gärung), bei der aggressive Äpfelsäure in weichere Milchsäure umgewandelt wird, läuft unter sorgfältiger Kontrolle ab. So entstehen italienische Rotweine, die authentische Botschafter ihres Terroirs sind und Handwerk in jedem Tropfen tragen.
Nachhaltigkeit und Innovation im Weinbau
Wo jahrhundertealte Traditionen auf modernste Technologie treffen, entsteht jenes Spannungsfeld, das Tommasi heute prägt. Das Weingut hat sich von chemischen Pflanzenschutzmitteln weitgehend verabschiedet und setzt stattdessen auf natürliche Alternativen wie Kupfer und Schwefel, die bereits Generationen vor ihnen kannten. Zwischen den Rebzeilen wachsen heute Gräser und Kräuter, die nicht nur die Biodiversität fördern, sondern auch den Boden regenerieren und ihm jene lebendige Struktur zurückgeben, die intensive Landwirtschaft oft zerstört.
Der Präzisionsweinbau (gezielte Überwachung und Behandlung einzelner Rebparzellen durch moderne Technik) hat bei Tommasi längst Einzug gehalten. Drohnen kreisen über den Weinbergen, Satellitenbilder liefern präzise Daten über den Zustand jeder einzelnen Rebe. Diese Technologien ermöglichen es, Maßnahmen nur dort einzusetzen, wo sie tatsächlich benötigt werden, wodurch sowohl Ressourcen geschont als auch die Weinqualität optimiert wird. Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch zur Tradition wirkt, erweist sich als deren konsequente Weiterentwicklung.
In der Kellerei investiert das Weingut konsequent in energiesparende Technologien, um seinen ökologischen Fußabdruck zu reduzieren. Photovoltaikanlagen auf den Dächern wandeln die venezianische Sonne in Energie um, während ein geschlossenes Wassersystem (Kreislaufführung des Wassers zur Wiederverwendung) nahezu jeden Tropfen mehrfach nutzt. Diese Nachhaltigkeitsbemühungen sind keine Marketingstrategie, sondern demonstrieren das tiefe Engagement für umweltbewusstes Wirtschaften.
Das Konzept der Minimal Intervention durchzieht die gesamte Weinbereitung wie ein roter Faden. Dieser Ansatz beschreibt die bewusste Beschränkung aller kellertechnischen Eingriffe auf das absolut Notwendigste, um den natürlichen Charakter der Weine zu bewahren und die authentische Terroir-Prägung unverfälscht zum Ausdruck zu bringen. Hier zeigt sich, dass Innovation und Tradition keine Gegensätze sind, sondern einander ergänzen.